Schützt die Mitte?! Die Situation und Ausrichtung der Browns-Linebacker.

12. Mai 2020 0 Von Mike

Free Agency und Draft sind vorüber, die Browns haben nahezu alle Baustellen adressiert – einzig bei den Linebackern gibt es mehr Fragezeichen als Ausrufezeichen. Daher blicken wir auf die Situation im Roster, welche Ergänzungen es geben könnte und warum die Position im neuen Scheme eine solch niedrige Priorisierung haben könnte.

Status-Quo in der Mitte: Mut zur Lücke

Schauen wir auf den aktuellen Defense-Depth Chart. Die folgende Abbildung ist angelehnt an das regelmäßige Update durch Brendan Leister des Depth Chart in Verbindung mit der PFF-Grade. Dabei blicken wir fokussiert auf die Mitte der Defense, da eine isolierte Betrachtung rein auf LB wenig Sinn ergibt. Daher sind Strong und Free Safety sowie Nickelback zusätzlich inkludiert, um die Spieler in der „Mitte“ des Feldes genauer zu betrachten

Depth Chart der Browns in der Mitte des Spielfelds – Defense

Ohne die starke Defensive-Line und die soliden Cornerback, bleiben bei den Browns in der Mitte des Feldes doch reichlich Fragezeichen und vor allem sieht man viele neue Gesichter und wenig Erfahrung.

Ein Starter vorm Training Camp wäre vermutlich Mack Wilson, der laut PFF eine eher schwache Rookie-Saison spielte. Viele Fans und auch wir sehen Mack Wilson hier sicher etwas besser als die fatale PFF-Note (41,6). Wilson sammelte als Weakside-Linebacker (WILL) viel Erfahrung. Die 944 Snaps sind die zweitmeisten der Defense nach Joe Schoebert, die 82 Tackles sind ebenso 2nd bei den Browns. Doch diese Zahlen bedeuten natürlich nicht viel. Mack Wilson zeigte in den Spielen immer wieder seine Stärken in Coverage und als Playmaker – hier ein Beispiel:

Obwohl Mack Wilsons Rookie Saison keineswegs perfekt war, zeigte der 5th-Rounder viele gute Ansätze gegen den Pass, während seine Schwächen gegen das Laufspiel und im Tackling eine Sorge bleiben.

Von solchen Snap-Zahlen konnte der designierte Starter Sione Takitaki neben Mack Wilson nur träumen. Der 3rd-Round Pick von 2019 stand nur bei 105 Snaps auf dem Feld und erzielte bei 21 Tackles immerhin gute Noten. Seine Stärke liegt klar in der Run-Verteidigung und gelegentlichen Blitzes – in Coverage ist er kaum erprobt. Nur vereinzelt dropped er in Zone Coverage, in Man-Coverage war er quasi nie. Die Browns haben scheinbar einen klaren Plan für den 2nd-Year-LB: „They want me to play the WILL,“ Takitaki told Zegura. Inwiefern Sione die hohen Erwartungen in Jahr 2 erfüllen kann, wird natürlich sehr spannend – ein Leistungssprung bei deutlicher höherer Last ist keineswegs sicher.

Goodson oder Philips doch als sofortige Starter?

In der Free Agency holte man mit BJ Goodson zumindest etwas Erfahrung, auch wenn er selten ein Starter war. Weder in den 3 Jahren bei den Giants, noch letztes Jahr in Green Bay kam Goodson über den Status eines soliden Rotationsspielers hinaus. Bei den Packers spielte er 254 Snaps, also rund 26 pro Spiel. Goodson gilt als guter Run-Stopper und starker Tackler und dürfte damit vor allem in Run-Downs häufiger auf dem Feld stehen.

Goodson ist aber keinesfalls ein 3-Down-Linebacker, allein schon weil seine Fähigkeiten in Coverage sehr dürftig sind. Genau das macht die Prognose in der Passing-League auch schwer. Den 1-Jahresvertrag kann man zurecht als „Prove-it“-Deal bezeichnen – nur wenn Goodson mehr als ein Spieler für die Tiefe ist, wird er länger in Cleveland bleiben.

Im Draft holte man in der dritten Runde mit dem LSU-LB Jacob Philips eine weitere Option, die aufgrund der geringen Tiefe schnell Snaps sammeln könnte. Beim National Champion war Philips eine Tackling-Maschine (113, dabei 7,5 for loss) und führte damit sogar die SEC an.

Jacob Philips bringt eine hervorragende Größe mit (6´3 und 229 Pfund) und hat dabei guten (keinen sehr guten) Speed und Athletik. Was ihm leider abgeht, ist die entsprechende Beweglichkeit. Philips wirkt eher hüftsteif und schnelle Richtungswechsel machen ihm Probleme. Sein starkes Tackling und die gute Run-Defense könnten ihm schnell Snaps in Run-Downs verschaffen, große Zweifel bleiben aber in Passing Downs. Denn seine Instinkte und das Spielverständnis sind aktuell noch eine Baustelle – häufig reagiert er nur, statt Routes zu lesen und zu antizipieren und ist dann spät dran. Manchmal wirkt er komplett Lost im Play.

Neue Ausrichtung: Hautsache gut im Tackling oder sind die Eagles das neue Vorbild?

Eine Konstante bei den Verpflichtungen ist der Wunsch nach sicherem Tackling. Joe Schoebert war letztes Jahr in dieser Kategorie enttäuschend, Mack Wilson ebenfalls eher unkonstant. Die Secondary um Ward/Greedy ist auch ein Risiko, dazu kam mit Grant Delpit auf Safety der Mann mit den meisten missed Tackles der NCAA. Gute Gründe um zumindest auf LB auf souveränes Tackling zu setzen. Philips, Goodson und auch Takitaki erfüllen diese Anforderungen, was offensichtlich höher gewichtet wird, als manch andere Fähigkeiten.

Finanziell haben die Browns mit der Entlassung von C.Kirksey (7,55 Mio freier Cap-Space) und der Nicht-Verlängerung von Joe Schoebert (hat für 10 Mio pro Jahr bei den Jaguars unterzeichnet) reichlich Geld gespart. Fortan gibt man für die Linebacker nur rund 8,1 Mio pro Jahr aus (30th in NFL). Weniger geben nur die Bengals und Eagles aus. Andere Teams mit 4-3-Scheme, wie die Jets oder Vikings, investieren dagegen über 30 Mio in die Positionsgruppe.

Wollen die Browns also aus strategischer Sicht die Defensive Line und Secondary stärken und bei den Linebackern wichtigen Cap-Space sparen, indem man dort konstant auf junge Spieler und Rotation setzt? Die Browns würden damit dem Vorbild der Philadelphia Eagles folgen.

Cap Spendings der Browns im Vergleich zu den Eagles und dem Ligaschnitt

Die Browns geben schon VOR der Verlängerung von Myles Garrett damit viel Geld für den Pass-Rush aus und priorisieren dies damit deutlich vor „Coverage“, vor allem bei den Linebackers. Diese Diskussion ist ja fast schon eine Philosophie, die vor einem Jahr dank hervorragender Artikel bei PFF entbrannte und die Lager seitdem trennt. (Quelle).

Fakt ist, dass die Browns spätesten 2021/22 schwere Entscheidungen treffen müssen mit den großen Verlängerungen von Baker Mayfield und Myles Garrett und auch Denzel Ward. Nicht alle Spieler und Positionsgruppen kann man hierbei gleich berücksichtigen, folglich ist die strategische Ausrichtung von GM Andrew Berry spannend, aber auch mit Weitblick. Die Frage bleibt natürlich ob Joe Woods damit auch umgehen kann?

DC Joe Woods und die Linebacker

Eine bedeutende Variable für die Ausrichtung der Defense ist natürlich DC Joe Woods, der als Defensive-Backs Coach von den 49ers kommt, aber zuvor bereits 8 Jahre mit Stefanski in Minnesota zusammenarbeitete.

Mit Blick auf das Scheme der Niners in 2019 und die Snap-Counts, fällt auch hier auf, dass häufig mit 2 LB gespielt wurde. Fred Warner plus Kwon Alexander und nach seiner Verletzung dann Dre Greenlaw. Auch die Niners legten den Fokus auf die Defensive Line, wobei Kwon Alexander als große FA-Verpflichtung teurer war als der gesamte LB-Corps der Browns. Generell sind die Situationen aber durchaus vergleichbar. Und die allgemein gute Nachricht – schematisch gibt es keinen massiven Umbruch:

“I think you want to make sure that you’re putting the guys that you have in the right position to make plays,” Woods said in the release. “I know the personnel here is tailored toward a 4-3 scheme, which I’m very comfortable with. We’ll stay with the 4-3 system here and focus on putting the guys in the right positions to make plays.”

Die Coverage-Frage

Eine der Kernfragen im Scheme von Joe Woods bleibt natürlich die Verteilung der Rollen. Die moderne NFL spielt bereits primär mit 2 LB in Nickel-Sets, um noch einen weiteren DB auf dem Feld zu haben.

Nun haben die Browns mit Grant Delpit und auch Andrew Sendejo zwei Safetys verpflichtet, die physisch und vom Skillset gut in der Lage sein sollten TE´s und Slot-WR zu covern. Kevin Johnson überzeugte in der Rolle des Nickelback ebenfalls im Jahr 2019 bei den Bills.

Die Chargers machten es 2019 in den Playoff-Spielen vor: Es ist durchaus möglich mit mehr als fünf Defensive-Backs zu agieren. Zumindest in speziellen Situationen. Ganz ohne Linebacker gewannen die Chargers so gegen die Ravens, dagegen ging die Taktik gegen die Patriots gründlich schief.

Mit einem analytisch getriebenen Front-Office kann es durchaus sein, dass die Browns diesen „Trend“ weiter treiben. Die Spielerauswahl lässt zumindest vermuten, dass man sichere Tackler und Run-Verteidiger sucht, während man auf instinktive und starke Coverage-Safetys im Backfield sorgt. In 3rd-Downs als klares Passing-Down kann ich mir durchaus folgende Aufstellung defensiv vorstellen:

Optionen zur Verbesserung

Auch wenn die Browns die Linebacker-Position gering priorisieren, ist der aktuelle Zustand des LB-Corps sehr unerfahren und dünn. Speziell auf eine Verletzung von Mack Wilson wären die Browns überhaupt nicht vorbereitet. Mack Wilson ist aktuell der einzige LB mit sichtbaren Coverage-Fähigkeiten auf NFL-Niveau (und selbst dies zweifelt z.B. PFF an). Allgemein haben die Browns keinen LB mit mehr als einem Jahr Starter-Erfahrung. Daher schauen wir auf Optionen auf dem freien Markt und auf Trade-Optionen.

Variante 1 – Veterans als FA

  • Nigel Bradham (30): Meine „Wunschlösung“, um mehr Erfahrung in das LB-Corps zu bekommen und gleichzeitig keinen langfristigen Cap-Space zu verbrauchen. Bradham (vorher Eagles) spielte Inside-Linebacker seit 2016 in Philly und gewann dort den Superbowl. Die Entlassung hatte vor allem auch finanzielle Gründe mit dem hohen Cap-Hit von 9,8Mio. Die PFF-Note von 64,4 beweist, dass er sportlich immer noch mindestens solide ist. Mit 30 Jahren und nun in seiner 9.Saison wäre Bradham natürlich nicht die langfristige Lösung, könnte aber idealerweise für 1-2 Jahre als Veteran sehr hilfreich sein. Unter 5-7 Mio pro Jahr dürfte er aber kaum unterzeichnen mit seiner Vita.
  • Mark Barron (30): Die zweite Veteran-Option auf dem freien Markt ist M.Barron – ausgerechnet entlassen von den Steelers. Einst einer der ersten echten Hybriden (LB/S) ist auch Barron schon Ü30 und geht in die achte Saison. Die 8,125 Mio Cap Hit machten es den Steeles leicht den LB zu entlassen, obwohl dieser mit 750 Snaps einen sehr relevanten Anteil der starken Defense spielte. Barron ist einer der wenigen verfügbaren LB mit ordentliche Coverage-Skills und Erfahrung in Man-Coverage, auch wenn er hier nicht überragt. Mit ihm würde aber auch reichlich Erfahrung und ein weiteres Skillset kommen.

Variante 2 – Trades

Nehmen die Browns Draft-Kapital in die Hand zur Verstärkung? Man hat 2021 zusätzlich einen 3rd (Downtrade 2020), einen 4th (Genard Avery) und einen 5th-Rounder (Austin Corbett). Munition wäre also da, für einen der drei Kandidaten:

  • Haason Reddick (25, Cardinals): Der #13-Overall Pick aus dem Jahr 2017 könnte nach der nicht gezogenen 5th-Year-Option auf dem Trade-Block sein. Ja, Reddick enttäuschte insgesamt, wenn man den hohen Pick mit den Leistungen vergleicht (PFF 40,1), allerdings muss man auch seinen Weg beachten. Reddick, der im College nur Pass-Rusher war und erst in der NFL die Transformation zum Inside Linebacker nahm, konnte kaum „ready“ sein. Dazu kommen jährliche Coaching-& Scheme Wechsel bei den Cardinals, die seine Entwicklung natürlich nicht förderten. Reddick wäre ein vermutlich günstiges Projekt mit großen athletischen Tools, der gute Coaches braucht. Für Tiefe und vor allem Blitzing wäre er aber ein spannender Kandidat. Zudem sagt man ihm mitunter gute Coverage-Skills nach.
  • Jarrad Davis (25, Lions): Auch Davis bekam die 5th Year Option nicht und ist folglich im letzten Jahr des Rookie-Vertrages mit den Lions. Detroit holte in der FA recht teuer den Ex-Brown Jamie Collins und hat einen 2nd-Rounder mit Jahlani Tavai in der Hinterhand. Man könnte nun noch etwas Kapital aus Davis schlagen. PFF sah ihn 2019 recht kritisch mit einer Grade von 40.1. In den bisherigen Spielzeiten war Davis jedoch unangefochtener Starter für die Lions – 2018 der LB mit der höchsten Pressure Rate unter den Linebackern. Anders als Reddick also eher ein „fertiger“ LB, der sofort starten könnte und als „Young Veteran“ durchaus Sinn ergibt für die Browns, auch wenn die „Upside“ natürlich eher überschaubar ist.
  • Kwon Alexander (25, 49ers): Der „Joe Woods“-Kandidat, der unseren neuen DC natürlich kennt und nach etlichen Gerüchten auf dem Trade-Block ist, nach seiner schweren Verletzung in Woche 8. Alexander spielt gut (nicht sehr gut), wurde in der zweiten Saisonhälfte aber stark durch Greenlaw ersetzt, wodurch die klammen Niners seinen teuren Vertrag (4 Jahre, 54 Mio) evtl loswerden wollen. Die 4,5 Mio Caphit dieses Jahr wären ok, der Hammer kommt erst 2021 mit 16,5 Mio Cap-Hit. Die Niners müssten mind. 14 Mio Dead Cap schlucken, was den Trade eher unrealisitisch aus finanzieller Perspektive macht.

Fazit: Die Browns sollten noch aktiv werden auf der Linebacker-Position. Idealerweise adressiert man den LB-Corps noch mit einem Veteran (Bradham/Barron) und schaut ob einer der jungen ehemaligen Firstrounder für einen 4th/5th Rounder verfügbar werden. Auf Mack Wilson als MIKE und Takitaki als WILL sollte man sich keinesfalls für eine hohe Snap-Zahl verlassen. Goodson sehe ich maximal als Rotational-Guy und von Jacob Philips sollte man als Rookie keine Wunder erwarten. Ja, die Browns werden schematisch die Linebacker nie sonderlich hoch priorisieren, mit der starken D-Line und der talentierten Secondary, aber das Level an Erfahrung ist aktuell deutlich zu niedrig.