Sorgenkind Defense – warum die Browns umdenken sollten.
Die Saison ist vorbei, wir kennen nun die Freude und den Schmerz der Playoffs. Es gibt viele gute Gründe stolz auf das Team und die Leistungen der Saison 2020 zu sein – gleichzeitig sind die Schwachstellen deutlich erkennbar. Wir blicken nach vorn und adressieren eine der Kernfragen für die Offseason: Welche Veränderungen braucht die Defense? Liegt es wirklich nur am mangelnden Spielermaterial, oder haben die Browns ein Coaching-Problem in der Defense?
Viele Hörer des DAWGSOUND-Podcasts kennen meine ganz persönliche Meinung zu Joe Woods – dennoch soll dieser Artikel die Argumente möglichst objektiv betrachten. Spannend ist der weitestgehende Konsens von Experten und Fans, dass Joe Woods mit besseren Spielern auch eine gute Defense stellen würde. Beleuchten wir dies.
Die Stats – wie gut war die Defense in Zahlen?
Da sind sie, die nackten Zahlen. Neben den vielen Plays, die wir über die Saison alle gesehen haben, sind das die Zahlen an denen sich die Defense-Coaches messen lassen müssen. Gehen wir also in eine erste Auswertung in Form von Thesen, die es zu diskutieren gilt.
Beginnen wir mit einem häufig genannten Argument für eine zweite Saison für DC Woods.
#1 Der Defense fehlt hinter der Front zu viel Qualität.
Der erste Impuls vieler Fans richtet sich viel eher an den GM Andrew Berry – und ist sicher nicht abwegig. Die Secondary und die Linebacker hatten als Gruppe jeweils eine katastrophale Saison, deren Ursprung auch in den Verletzungen wichtiger Säulen lag.
Rookie-Free-Safety Grant Delpit wurde sicher in der zweiten Runde geholt, um sofort zu starten, fällt dann aber mit einer Achillessehnenverletzung komplett aus. Ebenso gesetzt schien CB Greedy Williams, der keinen Snap spielte mit einer mysteriösen Schulterverletzung.
Schauen wir doch mal auf die PFF-Noten der Defense-Spieler in der Regular-Season:
Sooooo fatal sind die Leistungen der einzelnen Spieler nicht unbedingt, dass unsere Defense im Gesamteindruck so schlecht wegkommt. Bei den Linebackern war Malcolm Smith eine positive Überraschung, ebenso spielte Takitaki mitunter vielversprechend.
Das Problem beginnt damit, dass trotzdessen häufiger der desolate Mack Wilson die Snaps erhielt und BJ Goodson der unumstrittene Starter war trotz eindeutiger Defizite in Coverage. Besonders bei den Linebackern blieb die Rotation oft fragwürdig und schadete der Defense.
Das Thema setzt sich in der Secondary fort. Natürlich ist der Verlust von Grant Delpit brutal (auch wenn er keinesfalls eine „sichere Verstärkung“ als Rookie ist) – doch warum spielt Andrew Sendejo (PFF 42.9), der #87 von insgesamt 93 Safetys in der NFL ist? Glaubte man ernsthaft, dass es keinen besseren Safety für die Snaps gibt?
Fatal war natürlich die kommunikative Rolle der Veterans, die gleichzeitig zu wenig performed haben. Sendejo und Goodson waren die defensiven Leader – eine Rolle die einst Joe Schoebert so stark ausfüllte. Scheinbar traute es Joe Woods niemanden zu diese Rolle in der Saison zu füllen und vertraute weiter Sendejo. Besonders bitter, da Ronnie Harrison als echte Verstärkung insgesamt viel zu wenige Snaps deswegen bekam.
Fazit
Die Browns haben ein Qualitätsproblem auf Linebacker, Safety und Cornerback. Gleichzeitig ist es die Rolle der Coaches aus dem vorhandenen Spielermaterial das Maximum herauszuholen und notfalls mit neuen Spielern zu improvisieren. Cleveland vertraute aberwitzig lang auf Sendejo und Goodson als Säule und zahlten dafür wöchentlich mit desaströser Coverage in der Spielfeldmitte. Es fehlen die Adjustments an den Problemfeldern, die seit dem September offensichtlich waren.
#2 Wir sehen kontinuierliche Regression statt Verbesserungen.
Coaches sollten Spieler und ihre Units besser machen. Können wir Brownsfans behaupten, dass die Defense in der Saison 2020 stetig besser wurde? Nein.
Den defensiven Höhepunkt erlebten wir zweifellos in den Wochen 8-10 und den Spielen gegen die Raiders, Texans und Eagles, in denen im Schnitt 13.3 Punkte zugelassen wurden. Zugegeben spielte der Wettergott eine gewichtige Rolle in diesen drei Regenspielen, aber die Defense schaffte hier viele wichtige Stops und dominierte vor allem mit der D-Line.
Ein tolles Fundament, um daraufhin weiter Verbesserungen zu erzielen und zumindest eine „gute“ Defense zu etablieren? Nope. In den nächsten Spielen wurde die Defense:
- von Mike Glennon vorgeführt,
- kassierte 28 Punkte in 2 Quartern gegen die Titans nach hoher Führung,
- erlaubte 47 Punkte gegen Baltimore und
- sah keinen Stich gegen die #32-Offense der NY Jets
Dabei kann man aus Fansicht die schwachen Leistungen gegen absolute Top-Offenses (Ravens, Titans, Cowboys, Chiefs) noch verstehen. Doch im Verlauf der Saison gewannen viele das Gefühl, dass die Browns nicht einmal die schwächsten Offenses stoppen können. Das liegt auch daran, dass die Browns-D es wirklich jedem Gegner recht leicht macht reichlich Yards zu erzielen.
Auch laut DVOA rutschten die Browns immer weiter in das hintere Ligadrittel. In der Mitte der Saison konnte man noch einen souveränen Mittelfeldplatz ergattern – sogar von der Top-10 träumen. Seitdem ging es stetig bergab bis zu #25.
Waren die Gegner der Browns offensiv so stark? Hier kommt der Hammer – denn laut DVOA hatten die Browns den leichtesten Schedule in Sachen gegnerischer Offense.
Fazit
Die Browns hatten 2020 viel Glück gegen schwache Offenses anzutreten – und schafften dennoch keine guten Leistungen. Schlimmer noch, nach Woche 10 ging es merklich bergab. Der Pass-Rush zeigte spätestens mit der Corona-Erkrankung von Myles Garrett seine massive Abhängigkeit. Es bleibt der Eindruck, dass diese Defense vielmehr nur Überleben will statt ein wichtiger Teil des Erfolges zu werden – und das kann nicht der Anspruch einer Franchise sein, die seit Jahren massiv in die Defense investiert.
#3 Das Scheme von Joe Woods passt nicht zu den Spielern.
Mein Hauptkritikpunkt. Schon bei der Verpflichtung im Frühjahr 2020 war die primäre Frage, inwiefern der ehemalige Secondary-Coach der 49ers die Idee der Niners-Defense auf Cleveland überträgt.
Eine Saison später wissen wir: Joe Woods will sein System mit aller Macht durchdrücken. Dabei wurde zumindest 2020 in Kauf genommen, dass die Zone-Konzepte mit primärer Cover-4 noch äußerst holprig und mit dem „falschen“ Personal nur selten funktionierte.
Schauen wir aber kurz zurück auf die 49ers-Defense, welche die Browns inspirierte Joe Woods zu verpflichten. Die Niners hatten zweifellos eine hervorragende Defense, die das Team bis in den Superbowl trug. Maßgeblich für den Erfolg war eine bärenstarke D-Line um Nick Bosa, Dee Ford, DeForest Buckner und Arik Armstead, welche mit dem 4-Man-Rush enormen Druck ausüben konnte allein wegen der individuellen Qualität.
Dahinter spielten zwei überraschend gute Linebacker mit D.Greenlaw und vor allem Fred Warner. Dazu ein CB-Trio um Richard Sherman, Whitherspoon (meh) und K´Waun Williams. Die Safetys waren ebenfall souverän. Was fällt auf?
Im Vergleich zu dieser Niners-D gibt es enorme qualitative und schematische Unterschiede. Die Niners mussten wegen der historisch guten Front-4 kaum blitzen und konnten daher ihr Scheme durchziehen. Doch auch bei den Linebackern und CBs sind die Voraussetzung grundverschieden. Richard Sherman ist ultra-erfahren, K.Williams ein Top-5- Nickelback, dazu kommen zwei sehr schnelle Linebacker mit großer Range auch in Coverage.
Ihr merkt es vermutlich schon: NIEMALS sollte man beim Personal der Browns dieses System einfach kopieren und Erfolg erwarten. Dies beginnt vor allem in der Secondary. GM John Dorsey hat zwei starke Cornerbacks gedraftet mit Denzel Ward und Greedy Williams, die beide jedoch ganz klare Man-Cover-CBs sind. Mit den Zone-Konzepten nimmt man diesen beiden Säulen ihre großen Stärken.
Dazu kommen die offensichtlichen Schwächen der Browns bei den LB und Safetys. Gut möglich, dass man hier optimistischer war vor der Saison, aber die Zone-Konzepte funktionieren nur wenn auch in der Mitte des Feldes die zugeteilten Zonen mit ausreichend Speed und Antizipation verteidigt werden. Was haben die Browns mit den Low-Budget-Spielern? Maximal Takitakis Speed (aber mangelnder Vision), einen Malcolm Smith (Ohne Speed) und quasi nur Ronnie Harrison, der den Ansprüchen genügt. Zu wenig….
Fazit
Ich bleibe etwas ratlos zurück. Spricht bei den Browns das Front-Office nicht mit den Defensive Coaches? Anders kann man sich diese gigantische Missverständnis kaum erklären. Sicher war die Hoffnung eine dominante D-Line zu bringen, welche die Coverage dahinter erleichtert. Dazu auch gleich mehr. Aber die einzig wichtigen Säulen in der Secondary sind Denzel Ward und Greedy Williams – und beide passen einfach nicht in das System von Joe Woods. Genauso wenig wie die Linebacker und Safetys. Versteht mich nicht falsch – ich bin großer Fan von cleverer Zone-Coverage, welche z.B. nach Vorbild der Rams den gegnerischen QB vor UND nach dem Snap durch Variationen verwirrt. Doch aktuell muss man konstatieren, dass DC Joe Woods trotz offensichtlich unpassendem Spielermaterial kein Stück von seiner Spielidee abweicht.
#4 Die Browns haben die falsche Grundausrichtung mit „Pass-Rush-First“.
Eine extrem spannende grundsätzliche Debatte. Die Browns haben sicher schon mit dem Pick von Myles Garrett an #1 und dem Trade für Oliver Vernon eine gewisse Tendenz entwickelt. Dazu kam 2019 ein Sheldon Richardson und etwas Depth mit Jordan Elliott und die große Hoffnung auf den Rebound von DT Ogunjobi. Ergibt das eine dominante Front-4?
Leider hat 2020 gezeigt, dass dies keine Garantie für Pass-Rush und eine gute Defense ist. Vor allem, wenn quasi permanent eine der Pass-Rush-Säulen fehlt. Erst Oliver Vernon, dann kurz Sheldon Richardson, danach durch Corona auch noch Myles Garrett. Ungünstig, aber erwartet man dann nicht von einem DC, dass er seiner Defense schematisch hilft, wenn der 4-Man-Rush bei weitem unter den Erwartungen bleibt?
Die Gegner stellten sich immer besser auf Myles Garrett ein, der dennoch starke 12.5 Sacks sammelte. Doch die gesamte Pressure-Rate der Browns-D bleibt mit #22 deutlich hinter dem zurück, was die Secondary braucht. Nur 21% der Snaps endeten in Druck auf den QB – zu wenig. Das liegt aber auch daran, dass Joe Woods kaum blitzte. 21.3% sind der dritt-niedrigste Wert der Liga. Die anderen Teams im hinteren Drittel konnten sich die niedrigen Blitz-Raten oft leisten (oder sind insgesamt einfach im Rebuild), bei den Browns ist der Pass-Rush aber die Basis der Defense.
In Berea muss man sich dieser generellen Frage noch einmal stellen. Investiert man in der Offseason eher in die D-Line (zweiter Edge-Rusher und starker DT), oder wandert der Cap-Space mehr auf die Coverage? Die Tendenz von 2020 in der NFL geht eher auf Coverage > Pass-Rush mit dem Blick auf die jungen QBs, die auch unter Druck noch hervorragend agieren.
Fazit:
Es wäre unfair diesen Punkt allein DC Joe Woods anzukreiden. Die Ausrichtung ist natürlich primär ein strategisches Element vom GM Andrew Berry. Unser GM entschied stärker in die D-Line zu investieren und dafür die Positionsgruppen LB & Safety günstig zu besetzen. Doch es ist auch der Job der Coaches aus dem Spielermaterial das Optimum herauszuholen. Für 2021 bleibt der Wunsch nach Konsequenz – entweder man gibt Joe Woods die Spieler, die er für sein Scheme braucht, oder man holt einen Coach der zu dieser Ausrichtung besser passt.
#5 Joe Woods ist kein guter Defensive Playcaller.
Natürlich ist es das erste Jahr von Joe Woods als Playcaller – keiner erwartet hier Wunder. Doch es zieht sich wie ein roter Faden durch die Saison, dass Joe Woods in kritischen Situationen wirklich extrem konservativ (fast schon feige) agiert.
Die Folge? Die Browns ließen ligaweit die meisten 4th-Down-Conversions zu (22 von 27). Dazu in den Playoffs 5 von 5. Nicht einmal schaffte die Defense einen Stop, auch deshalb scheiterte man letztlich gegen Kansas City.
In bestimmten Situationen und gegen spezifische Gegner spricht auch nichts gegen eher softe Zone-Konzepte, aber das Ausmaß bei den Browns wirkt nicht gegnerorientiert, sondern vielmehr als Selbstschutz, weil man der eigenen D nichts zutraut:
Nochmal – speziell das Spiel gegen Kansas ist natürlich noch frisch in Erinnerung, aber es gab diverse Situationen, in denen die Prevent-Defense den Gegner wieder ins Spiel eingeladen hat:
- Cowboys: Nach 38-14 kurz nach der Halbzeit nur noch Prevent: 24 Punkte kassiert, Gegner kommt auf 3 ran
- Titans: 38-7 zur Halbzeit, dann nur noch Prevent-D: Gegner erzielt 28 Punkte in der zweiten Halbzeit und kommt auf 7 ran
- Ravens: Browns führen 35-34 im vierten gegen den Backup-QB, spielen nur noch vorsichtig statt zu attackieren. Ravens gewinnen mit Game-Winning-FG
- Steelers I: Browns führen 24-9 gegen die Backups der Steelers in Woche 17. Nur noch Prevent, die Steelers marschieren mit 2 TDs im vierten und scheitern nur an der 2-PT-Conversion (-> fast die Playoffs verspielt)
- Steelers II: Führung im Wild-Card-Game von 28-0 und zur Halbzeit 35-10. Danach nur noch Prevent, wir lassen die Steelers 28 Punkte in der zweiten Halbzeit scoren.
Zufall? Nein, die Browns lassen systematisch extrem viele Yards und Punkte nach deutlichen Führungen zu. Prevent-Defense dient dazu den Gegner nicht schnell scoren zu lassen und somit zumindest die Uhr zu kontrollieren, doch selbst das schafften die Browns kaum.
Nach dieser Saison muss man durchaus an den Playcalling-Qualitäten von Joe Woods zweifeln. Das situative Verständnis für die gegnerische Offense habe ich viel zu selten wahrgenommen. Fast symbolisch dazu jenes Play, welches die Saison beendete. 4th & 1, nachdem man den Backup QB 14 Yards scramblen lässt. Was macht Joe Woods im entscheidenden Play? Er lässt seine CBs nicht einmal Press-Coverage spielen, erlaubt ca. 3 Yards schon an der Line of Scrimmage und eine ultra-leichte Conversion. Game over…
Fazit
Wer bei Dawgsound reinhört wird wissen – mir ist das Playcalling von Joe Woods viel zu passiv und mutlos. Wir sehen in der NFL etliche Teams mit weniger defensiver Qualität, die aber schematisch und im Playcalling besser performen (z.B. Jets, Giants, Dolphins,…). Und so ist es kein Zufall, dass die Browns fast schon konsequent deutliche Führungen schneller hergeben. Wir können uns glücklich schätzen, dass keines dieser engen Spiele verloren wurde, sonst hätte es die Playoffs gekostet. Nach dem extrem aggressiven Gregg Williams erleben wir nun das komplette Gegenteil. Nur knapp 20% Blitz-Rate ist für die moderne NFL ungewöhnlich, vor allem wenn dahinter auch noch uninspiriert einfach verteidigt wird. Die Browns waren 2020 leicht zu entschlüsseln: Doppelt Myles Garrett (auf Blitzer muss man eh nicht achten) und findet dann die Löcher im Cover-4. Das muss sich 2021 ändern, die Browns müssen defensiv weniger ausrechenbar werden.
Das Zwischenzeugnis
Eine Saison ist sicher nicht genug, um ein finales Urteil zu fällen. Das Front-Office und HC Stefanski werden aber sicher die Tendenzen bewerten und entscheiden, welche Maßnahmen zu treffen sind, um die Browns-D von #25 zumindest in ein solides Mittelfeld und in die Top-15 zu führen.
Was gefällt mir an Jahr 1 unseres Defensive Coordinators und dem Defensive Staffs?
- (+) Disziplin: Die Browns sind wirklich gut im Bereich der defensive Penaltys, hier gab es wenige Flaggen. Das spricht für gute Disziplin und gutes Coaching im Bereich von den klassischen „Dummheiten“ (Offside, Holding,…)
- (+) Turnover: 21 Takeaways, dazu nochmal 5 in den Playoffs – dieser Wert ist ordentlich. Der Defense kann man hoch anrechnen, dass sie in den wichtigen Spielen oftmals super startete und den Ball gewann. Damit legte man die Grundlage für etliche Siege. Aber Achtung; Turnover lassen sich historisch gesehen nur sehr selten in der Quantität steigern oder wiederholen.
- (+)„Pech“: Auf der Habenseite liegt schlicht auch das fehlende Potential. Wir wissen nicht, wie diese Defense mit Greedy Williams, Grant Delpit und Andrew Billings aussieht – zudem fehlten länger auch CB Denzel Ward, Myles Garrett und Olivier Vernon. Gleichzeitig bleibt immer die Frage, ob man auf wenige Verletzungen hoffen sollte…oder eher auf Coaches, die auch in solchen Situationen gut agieren.
Die Liste der Sorgen ist länger und in den Inhalten bedenklicher, denn wie in den 5 Thesen beschrieben, fehlt dieser Defense nicht nur Qualität, sondern auch auf der Coaching-Seite vermissen wir einiges:
- (-) Playcalling: Die Browns müssen 2021 aggressiver agieren im Playcalling der Defense. 84% 4th-Down-Conversion bei über 30 Versuchen sind nicht einfach Pech, sondern das Resultat von Mutlosigkeit und mangelnden Ideen. Die Browns müssen nicht 40% der Play blitzen, aber Joe Woods muss entsprechend des sichtbaren Pass-Rushes im Spiel viel besser adaptieren und situativ der D-Line helfen. Das sieht man auch im „Energy-Level“ der Defense, der man schon an der Körpersprache anmerkte, dass der Glaube an Stops fehlt. Das war 2018 noch anders…
- (-) Schema F: Ebenso wichtig, die Browns-D muss in der kommenden Saison weitaus schwerer zu lesen sein. Selbst schwachen QBs wie Sam Darnold oder Mason Rudolph machte es unsere Defense sehr leicht. Die Liga geht immer weiter in Richtung von Disguise-Coverages, die mit Veränderungen nach dem Snap den QBs echte Fallen stellt. So etwas sieht man bei den Browns quasi nie. Mit dem richtigen Read Pre-Snap hat der gegnerische QB leichtes Spiel. Hier muss man moderner Denken und mit neuer Secondary mehr Vielfalt bringen.
- (-) Use what you have: Ein Klassiker für alle Coaches in der NFL, doch in Schulnoten würde Joe Woods hier ein „mangelhaft“ kassieren. Egal ob Denzel Ward oder Tavierre Thomas den Outside-CB spielte, egal ob Ronnie Harrison oder Andrew Sendejo auf S auflief – schematisch war alles gleich. Mir fehlt massiv die Ausrichtung an den Stärken der Spieler. Genau was HC Stefanski in der Offense so wunderbar umsetzt, wird in der Defense komplett ignoriert. Stattdessen muss Ogunjobi die halbe Saison auf falscher Position spielen (und enttäuscht dabei) – und unser Franchise-CB Denzel Ward wird mit soften Zone-Konzepten verschenkt.
- (-) Xs & Os: Vorhin lobte ich noch die Disziplin, gleichzeitig sehen wir noch brutale Schwächen im Tackling und der Kommunikation. Die Tackling-Schwäche ist dabei natürlich nicht einfach abzustellen in einer Saison ohne echtes Training-Camp und mit weniges Practices. Was nicht passieren darf ist jedoch die schwache Kommunikation der Secondary in den Zone-Coverages, bei denen gern mal die „Übergabe“ des WR nicht klappte, weil die Spieler in unterschiedliche Zone-Konzepte droppten. Wieder ein Zeichen, dass dieses Scheme der Defense (noch) fremd ist.
Wir wissen aktuell vor allem: Die Browns-D muss besser werden! Es öffnet sich das Championship-Window mit etlichen Säulen noch auf günstigen Verträgen. Es bleibt die Grundsatz-Diskussion:
Glaubt man an DC Joe Woods und gibt ihm via Free Agency und Draft reichlich neue Spieler? Oder gibt es einen frühen Cut, bevor man die Defense weiter komplett umbaut?
Es gibt hier kein richtig oder falsch. Wir können nicht das Daily-Work, sowie das Standing von DC Joe Woods in Berea und im Lockerroom bewerten. Im Zwischenzeugnis seht ihr den Versuch die offensichtlichen Punkte zu gewichten. Ihr ahnt sicher meine Tendenz:
Ich glaube nicht, dass die Philosophie und die Ausrichtung von Joe Woods modern und gut genug ist, um die Browns zumindest „okay“ zu machen. Die Situation in San Francisco wirkt auf mich wie ein seltener Ausreißer, der kaum zu duplizieren ist. Dies sieht man sogar bei den Niners selbst, die nach der fulminanten Saison 2019 deutlich regressen. Es reicht bei den Niners schon der Ausfall/Wegfall weniger Säulen (Trade DT Buckner, Verletzungsausfall Sherman), um die Defense von Top-5 zu einer Bottom-10-D zu machen in einzelnen Spielen.
Die Browns müssen sich fragen: Wollen wir das gesamte Glück der Defense allein an Myles Garrett hängen mit seinen außergewöhnlichen Fähigkeiten im Pass-Rush? Denn dies war 2020 die primäre Philosophie. Dahinter sah man nichts, was schematisch oder spielerisch Mut macht, um genügend Spiele mit der Defense zu gewinnen.
Ich hätte gern mehr Plays gesehen, die mir das Gefühl geben, dass Joe Woods diese Defense weiterentwickeln kann. Stattdessen gewann die Impression, dass er seinen Spielern nicht traut und verstecken will.
Die Tendenz in dieser Frage hat HC Stefanski verraten:
Stabilität im Coaching-Staff kann sehr sinnvoll sein, wenn man sich sicher ist, dass die richtigen Coaches im Staff sind. Joe Woods wird vermutlich eine neue Chance erhalten und hat durchaus Glück, dass die Browns nach Jahren der Unruhe hier Konstanz sehen wollen. Klar ist aber auch: 2021 muss sich vieles verbessern – und allein neue Spieler werden nicht reichen. Es braucht mehr Mut, mehr Vielfalt und mehr Ausrichtung an den Stärken der Spieler im Roster. Die NFL entwickelt sich auch im Bereich der Defensive-Scheme rasant weiter, hoffen wir also unsere Coaches beharren nicht auf Trends von 2018 und gehen Hand in Hand mit GM Andrew Berry, um die Defense weiter zu entwickeln. Die Säulen hat man mit DE Myles Garrett und CB Denzel Ward – darum muss sich jedoch noch viel bilden.
Go Browns!