Same old Browns oder verzögerter Hypetrain? Eine Coaching-Diskussion zur Zukunft von Freddie Kitchens

14. Oktober 2019 0 Von Mike

Eine spontane und spannende Diskussion unter uns Browns-Fans.de-Mitgliedern möchten wir euch inhaltlich nicht vorenthalten. Die Browns befinden sich nach einem spielerisch enttäuschenden Saisonstart an einer kritischen Schwelle – auch für den Rookie-Head-Coach Freddie Kitchens. Anlass der Diskussion war eine ungewöhnliche Pressekonferenz von Kitchens, in der er äußerst dünnhäutig und schlecht gelaunt auf die Fragen antwortete. Macht euch gern ein eigenes Bild – so kennen wir Freddie bisher nicht…

Wir möchten uns natürlich nicht im Stile des Boulevard an Spekulationen beteiligen, jedoch scheint Kitchens nach der Pleite in San Francisco sichtlich angezählt.

Im folgenden Beitrag sammeln und diskutieren wir einige Kritikpunkte nach den mittlerweile 13 Spielen, in denen Kitchens offensiv die Browns leitete und speziell nach den ersten 10 Monaten als Head-Coach. Dies soll klar betont KEINE Head-Coach-Diskussion und ein „Fire-Freddie-Artikel“ sein, vielmehr wollen wir darauf blicken, ob die Problemfelder veränderbar sind oder nicht.

Update: Der Artikel wurde bereits am Samstag VOR dem Spiel gegen die Seahawks verfasst. Neue Themen und Thesen werden in Kursiv mit dem Verweis Update angeführt.

Kritikpunkte

Offensive Scheme: Fehlende Orientierung an den Stärken der Spieler

Beginnen wir mit der vielleicht schwierigsten Thematik. In den ersten 8 Spielen unter Kitchen als OC sahen wir Baker Mayfield aufblühen. Freddie entwickelte mit einigen Adjustments, im grundsätzlich gleichen Playbook, ein wesentlich effizienteres Offensive-Scheme, welches geprägt war von schwer zu lesenden Bunch-Formations (WR stehen sehr nah beieinander), Rub-Routes (CB/S muss sich für eine Coverage entscheiden und man schemed einen Receiver damit frei) und kreativen Formations (Wishbone,…).

Mit dieser verbesserten Offense gewann Freddie die Herzen der Browns-Fans und am Ende den HC-Posten. Besonders wichtig dabei war auch, dass er eine gute O-Line wie eine Top-5-Line aussehen ließ, da diese selten länger als 2,5 Sekunden den QB schützen musste.

Wie konnte es also kommen, dass die Offense nun, nachdem Kitchens als HC eine volle Offseason Zeit hatte, plötzlich wesentlich schlechter performed und auch für das bloße Auge nicht dem gleicht, was uns in 2018 an Kitchens begeisterte?

  • Playbook: Durch den Wechsel innerhalb der Saison wurde natürlich nicht das komplette Playbook getauscht. In der Offseason hatte Kitchens nun (gemeinsam mit OC Todd Monken) die Gelegenheit seine vollen Gedanken und offensiven Philosophien in das neue Playbook einfließen zu lassen. Wir sehen aktuell deutlich mehr vertikale Elemente als zuvor – zudem brauchen diese länger in der Entwicklung, so dass die Line nun länger protecten muss. Mit zwei mittelmäßigen Offensive Tackles und dem Verlust von Pro-Bowl-Guard Kevin Zeitler schafft dies die Line nicht mehr.
  • Playmaker DilemmaDer Neuzugang von Odell Beckham Jr. ist grundsätzlich eine enorme Verstärkung für die Browns, gleichzeitig aber der erste Superstar in Cleveland (seit LeBron James). Kitchens stand nun vor der Herausforderung seine neue Offensive zu kreieren und dabei einen der besten Receiver der Liga RICHTIG einzubinden – also weder zu viel und einseitig, noch zu wenig. Das gelingt bisher nur mäßig. Gegen die schwachen Jets schaffte man es OBJ in die gewünschten Matchups zu bringen, ansonsten stehen jedoch Career-Low-Spiele zu Buche mit 56 Yards (Rams), 20 Yards (Ravens) und 27 Yards (49ers). Aktuell ist Beckham auf Kurs zu einer Saison mit 1072 Yards und 3 TD´s – was angesichts seiner Qualitäten deutlich zu wenig ist. Kitchens schafft es nicht OBJ, vor allem in der Red Zone, richtig einzusetzen. Das Thema könnte man noch als weniger wichtig einstufen, doch sein Kamerad Landry forderte zuletzt öffentlich Beckham „intentionally“ mehr einzusetzen – ein deutlicher Seitenhieb Richtung Kitchens. Während Landry aktuell neben Nick Chubb als einziger Browns-Spieler wirklich in Fahrt ist, muss Kitchens seine Playmaker schlicht besser einbinden.
  • Philosophie? Vielleicht der  größte Kritikpunkt der ersten Wochen – der gemeine Fan, genauso wie die Analysten, erkennt keine klare Spielphilosophie der Browns-Offense. Vertikal in Woche 1, Run-First in Woche 2, wieder stark vertikal in Woche 3, um dann in Woche 4 Hoffnung auf ein rhythmisches Kurzpass-Spiel mit kreativen Elementen zu zeigen, nur um dann in Woche 5 wieder in eine gescheiterte Vertikal-Offense zu setzen. Wenn man von einer Philosophie sprechen mag, heißt diese „Inconsistent“ , und mit jedem Play 25+x Yards zu gewinnen. Das wirkt illusorisch und funktioniert bisher überhaupt nicht.

UPDATE: Ein weiteres Beispiel sahen wir am Sonntag gegen die Seahawks. In einem wichtigen 3rd Down gehen die Browns 5-Wide. Mit Beckham, Landry, Callaway, Seals-Jones und RB Hilliard als Receiver. Wer ist der „Hot Read“? RB Hilliard, der den leicht ungenauen Ball von Baker nicht fängt und die INT das Spiel nahezu beendet. Wo war WR Higgins? Er wurde active gesetzt, bekam aber kein Target und blieb unsichtbar.

Disziplin: Flag-Festival und fehlende Führung

Die Teamdisziplin ist und bleibt ein wichtiger Faktor im Erfolg jedes Headcoaches. Du musst den Lockerroom unter Kontrolle haben und dafür sorgen, dass deine Spieler AUF und neben dem Feld im Sinne des Vereins agieren.

Neben dem Feld kann man bisher nichts kritisieren, Freddie Kitchens gibt hier eine klare Marschroute vor und diese zeigt bisher eine recht gute Wirkung.

AUF dem Feld fehlt dem Team dagegen die nötige Disziplin. Die Browns sind #32 und damit bummel-letzter in Sachen Penaltys…

In 5 Spielen verursachte das Team rekordverdächtige 63 Strafen für 423 Yards – und kostete mindestens das Spiel gegen die Titans. Hier kann man wenig schön reden. Neben den „technischen“ Strafen für Holding etc, die aufgrund sportlicher Schwächen entstehen, sehen wir leider viel zu viele „persönliche“ Strafen, die einfach in der Masse nicht passieren dürfen. Zuletzt redete Kitchens über den Unterschied zwischen dem Spielen mit „Passion“ (Leidenschaft), welches er sich wünscht und dem Spielen mit „Emotion“, was zu den dummen Strafen führt. Offensichtlich hat man es in der Offseason verpasst, hier klare Richtlinien zu schaffen. Gute Teams verursachen wenige Strafen – und davon sind die Browns weit entfernt…

„Line up correctly“ kam dazu in Woche 5 neu hinzu – wie kann es passieren, dass nach einem Viertel der Saison die Spieler nicht wissen, wie sie sich korrekt aufstellen? Das Beispiel des WR Callaway sollte hier warnend dienen, da Kitchens einen Spieler massiv in den Gameplan einplante, der scheinbar und offensichtlich völlig überfordert mit grundsätzlichen Schemes und Routes war.

UPDATE: Am Sonntag gegen die Seahawks gab es erneut ein Flag-Festival. Zugegeben, etliche davon waren ganz schwachen Referees zuzuschreiben, doch die Bilanz war erneut alarmierend. 9 Strafen für 83 Yards sind einfach zu viel.

Gameplanning & Game-Management

Ein weiteres grundsätzliches Thema, welches Sorgen macht, ist der Gameplan. Wenige NFL-Teams wie die Chiefs können es sich erlauben dank ihrer Stärke recht unabhängig vom Gegner ihren Stil durchzusetzen. Üblicher ist es den Gameplan an den Schwächen der gegnerischen Defensive auszurichten. Genau das sahen wir jedoch nur in einem Spiel bisher – gegen die Ravens in Week 4. Dort identifizierte man die kommunikativen Schwächen der neuen Secondary der Ravens und spielte diese perfekt aus.

Doch schon in Woche 5 sah man nichts von offensichtlichen Scouting-Reports. Die Browns wurfen massiv in Richtung eines der besten Cornerbacks der Liga mit R.Sherman – und wurde dafür folgerichtig bestraft. Man ignorierte die Stärke der D-Line um Bosa und Dee Ford und versuchte mit langen Plays vertikal zu attackieren – auch das konnte nicht funktionieren.

Ist Kitchens schlicht zu stur und möchte unabhängig vom Gegner seinen Masterplan durchsetzen? Oder haben die Browns doch ein Problem beim Identifizieren der Schwächen des Gegners (#Scouting). Beide Punkte sind sehr besorgniserregend und kein Zeichen guten Coachings…

Dazu kommt, dass die Browns in bisher KEINEM Spiel innerhalb des Games relevante Adjustments vornahmen. Entweder funktionierte der Gameplan, oder man versuchte den initialen Ansatz bis zum meist bitteren Ende…

UPDATE: Ein eklatanter Fehler im Clock-Management sorgte am Sonntag für viel Unverständnis. Die Browns sind in der Redzone im 2-Minute Warning. Genug Zeit und Timeouts hat das Team, snapped den Ball aber mit noch 23 Sekunden auf der Playclock überhastet. Der Ball wird tipped und intercepted. Im folgenden Drive haben sie Hawks dadurch genug Zeit für einen Touchdown-Drive zum 20:18. Statt also mit 27-12 in die Pause zu gehen, beginnt fortan der Abwärtstrend.

Dazu merkt man Kitchens den schweren Spagat zwischen Head-Coaching Aufgaben und dem Playcalling deutlich an:

Krisenmanagement & Umgang mit der Presse

Bis zum Saisonstart erlebten wir Kitchens nur gut gelaunt, optimistisch und stets einem guten Gefühl für die schwierige Presse in Cleveland. Es ging stetig bergauf und Kitchens schwomm bestens auf der Welle des Erfolges und Hype-Trains. Die Offseason und Preseason machte noch mehr Mut und alles schien wunderbar.

Die erste kleine Krise erlebte Kitchens nach dem Week-1-Debakel. Wie reagierte er? Ernst, aber mit dem gewohnten Optimismus. Er sprach die offensichtlichen Probleme (Strafen, Pass-Protection,..) offen an und versprach schnelle Besserung. Gleichzeitig nahm er einen Bärenanteil der Schuld auf sich selbst und stellte sich vor das Team.

Der sichere Sieg gegen desolate Jets verhalf zu Ruhe, die nach der Niederlage gegen die Rams vorbei war. Erneut stellt sich Kitchens vor das Team und nimmt die Schuld auf sich.

Der enorm wichtige Sieg gegen die Ravens scheint die ersehnte Wende und Kitchens betont, dass man sich nun gefunden habe, stärker auf RB Chubb setzt. Doch das Debakel gegen die 49ers beweist das Gegenteil. Nun haben wir die erste Krise und Kitchens wirkte erstmal wirklich ratlos auf der PK nach dem Spiel (Link). Wir hören Wiederholungen der ersten Wochen, aber keine wirklichen Ansätze, wie die Probleme angegangen werden. DC Wilks nimmt die Defensiv-Leistungen auf sich, Landry kritisiert dagegen recht direkt den Einsatz der Playmaker. Und Kitchens?

Von ihm sehen wir eine dünnhäutige, gereizte Pressekonferenz, die mehr Fragen als Antworten hinterlässt. Der Job eines Headcoaches ist es durch gute wie schlechte Zeiten eine klare Führungsperson zu sein. In der ersten Krise seiner jungen Karriere versagt Kitchens hierbei leider deutlich. Ihm fehlt aktuell jegliche Souveränität. So positiv seine Energie nach Siegen ist, so enttäuschend ist sein Verhalten bisher nach Niederlagen…

 

Die 3 Entwicklungs-Szenarien des Coaching-Staffs.

Noch einmal – nach 5 Spielen als Headcoach mit einem Record von 2 Siegen und 3 Niederlagen (dabei gegen starke Teams wie die 49ers und Rams) wäre es viiiiel zu früh die Trainerfrage zu stellen. Dennoch sind die folgenden 3 Wochen enorm wichtig für die Karriere des HC Freddie Kitchens. Daher blicken wir auf die drei möglichen Szenarien, wie das ausgehen kann.

  1. Turnaround: Das klare Wunsch-Szenario jedes Browns-Fans. Die Browns und vor allem die Offense findet im Stile des Ravens-Spiel un der 2018er Saison endlich seinen Rhythmus und performed entsprechend des Potentials von Spielern wie Baker Mayfiel, Odell Beckham Jr. und Nick Chubb. In diesem Szenario gewinnen die Browns eines der „schweren“ Spiele gegen die Seahawks oder Patriots und nutzen dann den günstigen Schedule um wirklich in Fahrt zu kommen. Wir sehen eine Offense, welche durchaus Run-Heavy entsprechend der Stärken der O-Line und RB Chubb ist und dann Baker Mayfield Stärken in RPO´s und einem rhythmischen Pass-Spiels und schnellen Releases nutzt.

2. Verdammt im Mittelmaß: Mein persönliches Horror-Szenario. Die Browns gehen mit 2-5 in Woche 9, gewinnen danach mit mäßigen Leistungen aber genug Spiele um 8-8, oder gar 9-7 knapp die Playoffs zu verpassen. In dem Fall, in dem Kitchens weiter mit fehlender Philosophie glänzt, könnte es gut passieren, dass GM Dorsey seiner Head-Coach-Wahl eine zweite Saison geben will. Dabei möchte ich klar sagen, dass Kitchen zwar ein HC Rookie ist, aber mehr als 13 Jahre Erfahrung in der NFL mitbringt. Die Saison 2019 ist für mich daher der klare Indikator, ob man mit ihm das „Titelfenster“ attackieren kann und will – oder eben nicht. Fatal wäre es nach 2 Spielzeiten zu erkennen, dass wir die wertvolle Zeit eines „günstigen“ Rookie-QB´s nicht genutzt haben.

3. Sackgasse: Was passiert nach zwei Niederlagen gegen Seattle und New England? Wie ruhig bleibt dann die Medienlandschaft und Berea intern? Glaubt man dann eine verkorkste 2019er Saison durch einen Coaching-Wechsel retten zu können? Bisher sind das nur Fragen, doch weit weg sind diese nicht. Vor allem nicht, wenn man bedenkt, dass die Browns mit OC Todd Monken und DC Steve Wilks zwei erfahrene Interims-Lösungen bereits im Staff haben. Monken hatte mehrere HC-Interviews und kam dennoch zu den Browns. Für ihn wäre dies natürlich eine Gelegenheit, wobei man zeitgleich hinterfragen müsste, warum sein Einfluss auf die Offensive bisher nicht positiv spürbar war. Wilks hatte zuletzt einen erfolglosen Head-Coach-Versuch bei den Cardinals und wäre ebenfalls eine valide Option.

Kein Fan „wünscht“ sich diese Variante, denn dies bedeutet auch für GM Dorsey eine empfindliche Niederlage. Vielmehr jedoch würde es eine weitere Übergangssaison bedeuten und den Fortschritt massiv behindern. Besser als ein ewiges Mittelmaß wäre es dennoch.


Die Browns zeigten nach dem Debakel gegen die 49ers eine deutlich verbesserte Leistung. Seattle ist zweifellos ein guter Gegner und ein sehr konstantes Team mit einem Top-5-QB. Die Niederlage schmerzt jedoch vor allem, weil man selbst als Fan das enorme Potential der Einzelspieler erkennt, welches der Coaching-Staff auf dem Feld weder richtig einsetzt, noch die wahnsinnige Anzahl von Fehlern reduzieren kann.

Freddie Kitchens ist angezählt und vermittelt mit seinem Auftreten bisher nicht den Eindruck, dass er die Ansätze zum Wandel im Kopf hat. Ein ewiges „We have to execute better“ können wir uns nicht erneut über mehrere Wochen anhören, ohne dass es auch mal umgesetzt wird. GM Dorsey ist gefragt die Situation kritisch zu betrachten – aus der Ferne wird das aufgrund seiner medialen Abwesenheit kaum überprüfbar sein. Doch die nächsten Wochen und schon die Bye-Week werden sehr wichtig, um herauszufinden in welche Richtung sich die Browns bewegen müssen. Und die Ansagen der Führungsspieler werden deutlicher…